Das verlassene Hotel am See

Das verlassene Hotel am See

Zwischen bayrischer Rustikalität und Plüsch

Die ruhige Straße endet an einem wunderschönen See mit ein paar kleinen Häuschen, die vielleicht mal Ferienhäuschen waren, jetzt aber auch leer stehen. “Hach, ein Häuschen am See”, denke ich, “nehm’ ich.” Doch keines der wie für mich gemachten Häuschen läßt sich von innen begutachten. Ich parke direkt vor meinem anvisierten Objekt. Eine Seltenheitsgelegenheit. Nach einer halben Umrundung steht fest, dass der erste zu betretende Raum wohl das Badezimmer sein wird, denn das Fenster steht sperrangelweit auf. Das ist zwar super, es ist nur etwas hoch. Und mein letzter Besuch im Fitness-Studio schon etwas her. Ein weiteres Glück, dass mich niemand sieht. Ich schwanke zwischen Klimmzugtechnik und plumpes Hochspringen, versuche es dann doch platt an der Wand mit etwas ausgerenktem rechten Bein. Urbexen hält fit und definitiv gelenkig, wenn man es oft genug macht….

Besonders spannend ist es natürlich, wenn man noch irgendwelche Überbleibsel findet. Vielleicht kennt der eine oder andere es von sich selbst: das Vergessen von alltäglichen Dingen in Hotels, wie z.B eine Zahnbürste. Genau eben solche Zahnbürste fand ich in diesem Badezimmer. Grinsend dachte ich an mein bisheriges vergessenes Sortiment vergangener Reisen. Wenn dort mal ein Hotel pleite geht, wird vielleicht meine Zahnbürste von einem Urbexer fotografiert. Schleierhaft ist und bleibt mir allerdings, wieso eine komplette Einrichtung nach Aufgeben des Hotels dort verbleibt. Warum hatte man nichts verkauft oder einem guten Zweck zugute kommen lassen? Nun ja, aus meiner Sicht als Fotografin ist es mir nur lieb und billig…

Ein verlassenes Hotel mit komplettem Interieur

Das Nebengebäude

Dieses Hotel bestand interessanterweise aus zwei Gebäudeteilen: einem großen, alten Holzbau und einem angebauten Neubau-Trakt. Zugegeben, das Nebengebäude hinter dem Hauptgebäude aus Holz war doch arg in Mitleidenschaft der Verwitterung geraten. Schimmel lag wie ein weißer Schneehauch auf der Holz-Kommode und dem Teppich, in der Luft hingen Schimmelsporen dicht wie Birkenpollen. Der ganze Bau war verrottet, die Räume und Treppenstufen vermodert, alles vergammelte förmlich.

Im hölzernen Hauptgebäude

Das Haupthaus des verlassenen Hotels hielt hübsche Überraschungen bereit. Die Räume waren den Umständen entsprechend gut erhalten. Ein paar Spinnweben hier, diverse Schimmelflecken dort. Aber ich habe schon Schlimmeres gesehen! Die Küche hielt genügend Utensilien bereit, um sofort ein paar Pommes mit Bockwurst auf den Teller zu bringen, den man in der Frühstücks-Ecke mit seltsam unpassender bayrischer Anmutung servieren könnte. In dem Gemütlichkeitsraum mit billigem Metallkamin und dicker Samtsitzgruppe saß einsam und verlassen ein kleiner Elch aus Stroh. Er tat mir sofort leid. Zum einen, weil er bestimmt schon ein paar mal lieblos und eigennützig für Fotos umgesetzt wurde. Zum anderen, weil das Stroh einem dauernden Anpacken wohl nicht lange Stand hält. Schrecklich, dass mir solche Tierchen immer so nahe gehen! Ich mache ein Foto von ihm und wünsche ihm in Gedanken ein langes Leben. Hinter dem Frühstückstresen führt eine schmale Treppe in die erste Etage, wo mein Blick auf ein paar gestapelte Fernseher fiel. Das ist auch so ein Ding, dass in verlassenen Hotels immer diese alten, kleinen Glotzen stehen. Natürlich hat man heutzutage keine Röhre mehr, aber sie würden doch bestimmt noch funktionieren. Nostalgie ist wohl so dermaßen aus der Mode gekommen, dass niemand mehr diese Kisten klauen will. Selbst in den Zimmern dieser Etage hängen sie noch an der Wand. Vielleicht waren sie aber auch nur Deko, denn die tief roten und blauen Vorhänge verströmen eine Stimmung, bei der man durchaus anderes im Sinn haben könnte, als fern zu sehen. Ich wurde das Bild nicht los, dass diese ansonsten leeren Räume ein guter Drehort für einen Film von David Lynch bieten würden. Trotz der Ruhe hing gleichzeitig eine dunkle Spannung in der Luft, als würde man im nächsten Augenblick aus einem unangenehmen Traum aufwachen. Ein paar Szenen aus dem Film “Lost Highway” schwebten mir vor Augen. Für einen Moment lauschte ich bewegungslos ins Nichts und entschied mich dann für einen Blick ins Obergeschoss. Das präsentierte mir tatsächlich den Gipfel der Absurdität: ein großes Badezimmer mit Plüsch ausgekleidet. Mal ehrlich, kuschelig hin oder her, aber der feuchteste Raum jedes Hauses sollte doch alles andere als ein Nährboden für feuchtigkeitsliebende Elemente sein. Zusätzlich waren die Türen und Wände nicht mal blickdicht. Was für ein unbegreifliches Konzept. Aber vielleicht war das auch die Vip-Suite, bei der man gleich das komplette Dachgeschoss des Hotels für sich hatte. Wäre mal interessant, zu erfahren. Insgesamt besonders angenehm war die geringe Zerstörung und kein Graffiti. Das gibt es heutzutage, wo urbex quasi “in mode” gekommen ist, kaum noch.