Das verlassene Hotel Viktoria-Luise

Das verlassene Hotel Viktoria-Luise

Ein verlassenes Hotel mit rosa Federbetten und grüner Frühstückslounge

Man könnte glatt vorbei fahren und das große, komplett mit rotbraunem Holz verkleidete Haus für in Betrieb halten, wäre da nicht der lange Bauzaun. Auf dem Weg zum Hotel versuche ich unauffällig aus den Augenwinkeln nach einem möglichen Einstieg Ausschau zu halten. Ein älteres Pärchen schlendert einige Schritte voraus, und obwohl meine Urbex-Begleitung und ich schon langsam gehen, holen wir doch auf. Das Pärchen bleibt vor der Eingangstür des verlassenen Hotels stehen und scheint interessiert das Schild vom Verkauf dieses Privatbesitzes zu lesen. Vielleicht haben sie auch innen etwas gesehen, und so gehe ich einfach auf den älteren Mann zu und frage, ob er von hier sei und Genaueres über dieses verlassene Hotel wüsste. Freundlich entgegnet er, dass die beiden auch nur zum Ausflug hier sind. Dann fügt er verschmitzt hinzu, dass er bis vor kurzem auch in verlassene Orte hinein gegangen ist zum Auskundschaften, aber dass seine Frau solche Unternehmungen inzwischen für zu gefährlich für ihn hält. Dabei grinst er sie von der Seite an. Zu uns gewandt ergänzt er noch, dass wir doch mal an der Seite schauen sollten, die Kellertür stünde weit offen. Er zeigt mir dem Finger neben sich. Damit verabschieden sich die beiden nett von uns und ziehen von dannen. Die Kellertür steht tatsächlich sperrangelweit offen.Das wird sie wohl auch weiterhin, da ein breiter Sandhaufen unten am Kellerabsatz der Tür das Schließen verwehrt. Die dunklen Kellerräume machen mir klar, dass ich mich mit der Anschaffung einer guten Taschenlampe beschäftigen sollte, denn das im Handy integrierte Licht ist zwar auf kurze Distanz ein kleines Hilfsmittel, aber das war’s dann auch schon. In ihrem dünnen Schein erkenne ich eine alte Waschmaschine und ein Paar Winterstiefel. Wie man Schuhe zurück lassen kann, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben. Die Leute reisen ja nicht grundsätzlich im Winter in Stiefeln an und im Hochsommer auf Socken ab. Nun denn. Im Erdgeschoss erwartet uns eine Raumausstattung, bei der mir jegliche Zuordnung zu einer zeitlichen Epoche oder auch einem landestypischen Stil schwerfällt. Es ist der ganz in braun-grün gehaltene Restaurant-Bereich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die herumhängenden Efeuranken aus Plastik ins Bayrische oder Fränkische oder gar ins europäische Ausland einordnen soll. Läuft für mich aber eh unter der Rubrik „Kitsch“. Die Frühstücks-Lounge einen Raum weiter ist in ihrer beigen Schlichtheit das biedere Gegenteil. Im hinteren Bereich hören wir mehrere Stimmen und trauen unseren Augen nicht, als wir einen Blick um die Ecke wagen: drei Mädels springen dort „unten ohne“ herum, ein zweifelhafter „Aktfotograf“ positioniert gerade ein weiteres „Model“ auf einer Sitzbank. Mein Urbex-Begleiter und ich schauen uns kopfschüttelnd an. Dieses verlassene Hotel hat für unser Empfinden so gar kein Ambiente für interessante Aktfotos, erst recht nicht für schöne Aufnahmen. Schon gar nicht auf dieser schmalen, piefigen Holzsitzbank in einem Durchgangsraum. Aber in dieser Fotografie-Sparte gibt es ja nun auch Fisch und Fleisch – dieses Unterfangen vor uns scheint aber eher die Kategorie „weder-noch“.

Die oberen Gästezimmer sind zwar verlassen, aber nicht leer. Wenn man in einen Lost Place wie dieses verlassenes Hotel kommt und so ziemlich die komplette Einrichtung vorhanden ist, finde ich es immer sehr befremdlich. Erst recht, wenn die Räume in sehr gutem Zustand sind, sodass man eigentlich einchecken könnte. In diesem Fall sogar für umsonst. Beinahe skurill kommt es mir auch vor, wenn auf den Betten noch aufgeplustertes Federbettzeug liegt und man versucht ist, sich hineinzukuscheln. Wie mag so ein Aufgeben eines Hotelbetriebes von statten gehen, frage ich mich, wo ich im Bad noch Seife und einen Waschlappen vorfinde und auf dem Nachttisch ein abgebrochener Bürstenkopf liegt. Warten die Betreiber, bis der letzte Gast abgereist ist, bestellen den Zimmerservice ab und gehen einfach in den ewigen Feierabend nach Hause? Auch über dieses verlassene Objekt konnte ich durch Recherche keine weiteren Hintergründe zur Schließung des Hotels oder über den/die Besitzer herausfinden. Der Tag neigt sich dem Ende zu, die „Aktmannschaft“ ist längst verschwunden und in diesen Fall sind wir zwei für heute die letzten „Gäste“. Wir lassen zum Abschluss nochmal unsere Blicke durch die Zimmer schweifen, bevor wir endgültig abreisen – aus diesem verlassenen Hotel und aus diesem kleinen, netten Ort.