Das verlorene Ritterblau

Das verlorene Ritterblau

Immer, wenn ich solche beeindruckenden Anwesen sehe, kann ich gar nicht fassen, wie man diese einfach so verfallen lassen kann. Sicher, die Unterhaltung kostet so einiges, Beheizung, Renovierungsarbeiten, etc. Und dennoch hätte es etwas märchenhaftes für mich, wenn ich darin wohnen dürfte. Umso aufgeregter bin ich immer, wenn ich mich einem verlassenen “Schatz” nähere….

Ich hatte mich erst etwas in der nahen Umgebung verfahren, denn die Abzweigung von der Landstraße auf den Schotterweg war irreführend. Ich rechnete nicht mit einem Schlaglöcher durchsiebten Schotterweg als zuführende Straße, außerdem führte der Weg entgegen meiner erwarteten Richtung. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass mein Orientierungssinn manchmal nicht optimal auf der Höhe ist, erst recht ohne genügend Kaffeezufuhr zum Frühstück. Unter diesem Aspekt hat ein Handy doch etwas für sich, und sei’s nur wegen GPS und Maps. Zumindest sofern man Empfang hat. Den hatte ich im Moment des totalen Orientierungsverlustes natürlich nicht, aber was wäre eine urbextour ohne Herausforderungen. Kurzum, ich fuhr den Weg wieder zurück und kam dann doch irgendwie an. Das große Gebäude, ein altes Rittergut, versteckt sich hinter hohen Bäumen, dichten Sträuchern einem unscheinbaren Vorbau. Beim Anpirschen durch das zugewucherte Dickicht entdecke ich ein glasloses, offenes Fenster, erreichbar über einen Mauersims. Mein Herz pocht aufgeregt, als ich ins Inneren geklettert bin, und der Schritt durch die Flügeltür lässt mich strahlen: da ist sie schon, diese wunderschöne, himmelblaue Stuckdecke der Eingangshalle! Dazu diese Holztreppe mit dem bunt bemalten Holzgeländer! Im Frontfenster ist eine Jagdszene als Buntglas eingefasst. Einfach wunderbar! Und ich war sogar allein. Kein Massenauflauf, keine vandalierenden Jugendlichen nichts zerstört oder zugesprayt. Sehr angenehm! Ich genieße die Stille in dem gesamten Haus und schwebe freudig neugierig durch jeden Raum und bewundere die Details der Architektur. Die Dielen knarren an einigen Stellen, ab und zu raschelt Plastikfolie über den verstaubten Boden. Im Keller finde ich einen Miniherd aus Emaille und frage mich, warum man überhaupt solch niedrigen Teile gebaut hat. Selbst wenn es eine Variante mit kleiner Ausstattung geben sollte, kann man doch höhere Beine einplanen; wer steht sich denn schon den Rücken krumm?! Aber Kochen ist eh nicht mein Element, also vertiefe ich mich wieder in die Raumplanung vor meinem geistigem Auge. Die Stuckdecken der Räume im ersten Geschoss sind wunderbar erhalten, ihre zarte eierschalengelbe Farbe lässt die gesamten Räume sowohl modern als auch elegant wirken. Wie wohl die Möbel aussahen? Ein paar Überbleibsel aus der Nutzung dieser Villa als Klinik sind noch erhalten, so z.B die vielen Waschbecken. Der Erker-Raum mit dem alten Kachelofen und dem kleinen Podest hat es mir besonders angetan. Zu gern würde ich dort gemütlich im Sessel sitzen, eine Tasse Kaffee oder Tee trinken und ein Buch lesen…

In eigener Sache: ich möchte keine weiteren historischen Details über diese Villa bekannt geben, da man sie dann mit etwas Recherche finden könnte. Das soll dem Schutz von verlassenen Gebäuden dienen, da Vandalismus inzwischen stark verbreitet ist.