Kein Vogel sang

Kein Vogel sang

Im tiefen, tiefen Wald stehen sie, schweigend, grau, leer, verlassen. Die vielen Gebäude auf dem ehemaligen russischen Militärgelände aus Zeiten des Kalten Krieges sind seit langer Zeit verlassen. Inzwischen haben sie sich unauffällig in die Natur eingebettet. Teilweise sind die Gebäude der Kaserne gar nicht vom Hauptweg aus zu sehen, weil die Bäume, Büsche und hohen Gräser sie sehr gut verdecken und tarnen. Fast schon könnte es ein Naturschutzgebiet sein, da es sumpfartige Bereiche gibt, die mich an den Spreewald erinnern.

Nach Ende des Kalten Krieges fast vergessen, haben die sowjetischen Soldaten das meiste, was nicht niet- und nagelfest und noch zu gebrauchen war, mitgenommen. Ein paar spannende Entdeckungen konnte ich aber noch machen.

Ich bin spät dran. Hätte ich gewusst, wie weitläufig dieses Gelände tatsächlich ist, wäre ich früher los gefahren. Natürlich hatte ich mir die Anlage und ungefähre Lage der Gebäude per Blick aus dem All angeguckt. Aber wenn man dann vor Ort im Wald steht und kein Netzempfang hat, wird es schwierig mit dem Abgleich zwischen der Karte vor dem geistigen Auge und der Realität, in der ein Baum wie der andere aussieht. Vor allem Entfernungen sind kaum einzuschätzen. Von meiner Parkstelle aus laufe ich also los, und damit meine ich wirklich laufen. Denn das Ende dieser endlos langen Straße ist nicht abzusehen. Der Blick nach rechts und links sieht nur Bäume, kein einziges Gebäude ist zu erkennen. Nach etwa 25 Minuten erreiche ich endlich am Ende des Weges ein kleines Gebäude. Leicht verschwitzt und etwas aus der Puste finde ich die ersten Relikte der sowjetischen Soldaten: ein Schild mit russischen Schriftzeichen, schwarze Stiefel, Autoreifen. In Sichtweite stehen weitere Gebäude, daneben eine lange Mauer mit bunten Relief-Elementen. Die verschiedenen Motive und Szenen wirken für mich wir ein Gesamtkunstwerk. Diese etwas kantige, sozialistische Art ist zwar nicht mein Geschmack, ich bin dennoch begeistert über dieses Fundstück. Und was besonders traumhaft ist: alles ist noch heil. Kein Graffiti, keine Zerstörung, noch ganz original! Fantastisch! Das große Wäschehaus sieht da schon anders aus. Beeindruckt bin ich trotzdem von den XXL-Maschinen, und eine Wäschetrommel habe ich schließlich auch noch nicht gesehen. Ich hatte mir vorher auch nie Gedanken darüber gemacht, dass die Russen auf diesem Gelände relativ autark leben mussten, sodass eine Komplettversorgung wie eben auch die Reinigung gegeben sein mussten. Wird einem vielleicht auch erst klar, wenn man es sieht. Ich reiße mich aus den Gedanken, schließlich habe ich noch was zu schaffen. Zum Glück treffe ich ein paar Geocacher, die mit ihrem Handy Netzempfang haben, sodass ich wenigstens die ungefähre Richtung der Highlights erhalte. Diese sind leider nicht mehr ganz frisch.

Das Schulgebäude, das Theater und andere sind nicht nur geplündert, sondern auch schon ziemlich kaputt gemacht worden. Besonders Holzplanken und Parkett sind offenbar heiß begehrt. Wobei ich mich frage: “Was will man mit diesem vermoderten Holz, das kann man doch eh nicht mehr verwenden?!” Die an die Wände gemalten russischen Sportzeichen und Schriften sind aber spannend genug für mich und meine Kamera. Erst Recht die Relief-Mauer um die Ecke des Theaters. Da ist doch glatt Lenin verewigt! Für mich nicht nur das Highlight dieses Tages, sondern auch das von Lost Places generell. So etwas wird es ja nie wieder in dieser Art geben.

Als die Sonne beinahe gesunken ist, laufe ich mit müden Augen erschöpft zurück und merke, dass dieser Lost Place eigentlich ein Tagesprogramm ist. Ein sehr schönes sogar, denn die Natur ringsherum schenkt einem gleichzeitig auch einen tollen Spaziergang.

17 thoughts on “Kein Vogel sang

    • Author gravatar

      wie finde du diese orten
      und ja warum ist das nicht mal alles weg geholt , oder vielleicht in wohnungen umgestelt

      • Author gravatar

        Hallo Karel, ich recherchiere seit Jahren sehr viel und sehr gern, es macht mir grossen Spass, auf Spurensuche der Geschichte zu gehen und viel aus der Vergangenheit zu erfahren und vielleicht auch besser zu verstehen. Bei der Recherche, die sehr zeitintensiv ist, finde ich manchmal auch zufällig neue lostplaces. Die Suche ist anstrengend, aber auch aufregend ? .
        Tja, warum steht das alles nich da….ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Manchmal sind es ungeklärte Besitzverhältnisse, manchmal gehört es nicht der Stadt oder dem Land, manchmal fehlt das Geld für Sanierung, manchmal gibt es keine Investoren oder diese lassen es absichtlich verrotten, um auf dem Grundstück frisch zu bauen. In diesem speziellen Fall liegt das Gelände in einem Wald, Wohnungen wären wohl nicht erlaubt.
        Viele Grüße ☺

    • Author gravatar

      WOW – Frauke war an einem meiner Lieblingsorte unterwegs — der Stadt im Wald… auch wenn dieser Ort seit vielen Jahren Stück für Stück dem Erdboden gleich gemacht wird und somit jedes Jahr ein kleines Stück dieses Ortes verschwindet- im Amtsdeutsch heißt das Renaturisierung – sehenswert ist es immer noch. Und es stimmt – das Gelände ist verdammt groß….. Schmunzeln musste ich wirklich über den Titel dieses schön geschriebenen Beitrags – was für eine wundervolle Art von verstecktem Humor!
      Übrigens: jedes Jahr gibt es im Rahmen des “Brandenburger Konversionssommers” die Möglichkeit, diesen Ort im Rahmen einer öffentlichen Führung zu entdecken (ist zwar etwas weniger romantisch, dafür bekommt man aber viel gezeigt, erklärt und es ist weniger gefährlich, als dort alleine durch das Gelände zu stiefeln 😉 )

      • Author gravatar

        Ah, wie schön, hier jemanden zu treffen, der auch schonmal dort war und mein Wortspiel bemerkt hat ??. Ich war leider etwas spät dran und hatte auch die Weitläufigkeit unterschätzt, zumal man einige Gebäude tatsächlich kaum bis gar nicht zwischen den dünnen Bäumen sieht – man glaubt es kaum! Es hat sich inzwischen auch schon weiter zum Nachteil in sehr kurzer Zeit entwickelt, die Turnhalle ist arg zerstört.
        Von der Führung wusste ich bisher nichts, klingt aber interessant, weil ich sehr gern genaueres erfahre und solche Touren geen mal mitnehme (wie zB beim Olymp. Dorf -Beitrag folgt noch).
        Viele Grüße, F

        • Author gravatar

          Ich fand dieses Wortspiel so genial und wußte gleich, worum es geht… ich war schon ein paar mal dort – es ist unglaublich, wie schnell sich dieser Ort verändert hat. Schade, das er eines Tages vollständig verschwunden sein wird… ich versuche auf jeden Fall, im August bei einer der Führungen dabei zu sein, mal sehen, ob es klappt.

    • Author gravatar

      Mal wieder eine tolle Reise in die Vergangenheit. Danke!

    • Author gravatar

      Hallo Frauke,
      der Bericht und die Bilder sind gelungen. Ist dir aufgefallen, das sogar die Birken in Reih und Glied stehen… ?
      Lieben Gruß, Ewald

      • Author gravatar

        Hallo Ewald, ganz lieben Dank, und ja tatsächlich, die Bäume stehen wie Perlen auf der Schnur ?. Das Gelände ist gar nicht so dicht bewachsen, möchte man meinen, und doch kann man ein Gebäude nicht dazwischen hindurch sehen. Ganz merkwürdig. Ich bin irgendwann querfeldein gestiefelt, weil ich vom Weg aus nicht einschätzen konnte, wo das nächste Haus ist ?. Aber schön zu erleben, wie die Natur ihren Weg zurück erobert.
        Liebe Grüße, Frauke

    • Author gravatar

      Unglaublich, das ist ja richtig spannend.
      Davon wusste ich bisher noch nichts.
      Danke für Bericht und Bilder.
      Sehr schön und interessant sind beide.

      • Author gravatar

        Hallo Brigitte! Ach schön, es freut mich sehr, dass meine Beiträge auf Interesse stoßen und ich damit ein Stück Geschichte dieser einmaligen Orte näher bringen kann ☺. Es ist ja umso einmaliger, da es diese spezielle Vergangenheit mit den 4 Besatzerzonen und damit verbundenen Spuren eben nur in Deutschland gibt.
        Viele Grüße, Frauke

    • Author gravatar

      Wo ist das? Irgendwo in der ehemaligen DDR?

      • Author gravatar

        Ich gebe Ortsangaben grundsätzlich nicht weiter, weil die Situation um verlassene Orte inzwischen ein Ausmaß an Vandalismus erreicht hat, das unvorstellbar ist.

    • Author gravatar

      Sehr schön dokumentiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

× seven = seven

%d Bloggern gefällt das: