Die Freyberg-Brauerei
Ein Lost Place vom Abriss eingeholt
Eines der abenteuerlichsten Einstiege in einen Lost Place war sicherlich dieser in die verlassene Freyberg-Brauerei! Und zugleich einer der riskantesten, weil gefährlich. Da hätte es auch nicht viel genützt, dass wir zu zweit waren, denn man kann ja schlecht hinter eine Mauer gucken bzw hinter ein glasloses Fenster im ersten Stock. Meine Urbex-Begleiterin hat Talent, denn sie erkennt die Möglichkeit, mithilfe eines Kellerfenster-Sims den darüberliegenden einzig erreichbaren Fenstersims zu ergreifen. Zumindest, wenn man sich streckt, was bei unserer Körpergröße hier unser Limit erreicht. Wir entscheiden uns, den Versuch zu wagen und das Objekt gestaffelt anzugehen. Ich probiere es als erstes. Ich und meine Körperteile hangeln sich genauso gestaffelt durch das Kreuzrahmenfenster. Die andere Seite gibt mir nur Halt auf einem Mauervorsprung von der Breite meiner Zehen. Abrutschen hieße etwa drei Meter tief fallen. Balancierend nehme ich unsere hochgeworfenen Fototaschen entgegen und lasse sie drinnen vorsichtig hinunter in den Schutt fallen. Erst jetzt bemerke ich die verbliebenen Glasstücke in dem Metallrahmen des Fensters, die mir die eine Handfläche aufgeschnitten haben. Mein Bein kurz neben dem Schritt wurde zum Glück von meiner Jeans geschützt, die ein unauffälliges Loch als Zeugnis behalten hat.
Der Gebäudeteil zu Straße hin war Produktionstrakt und bietet uns das Highlight. Die Löcher, in denen mal die Braukessel der Freyberg-Brauerei gewesen sein müssen, gähnen dunkel und hohl wie ein weit aufgerissener Schlund. Die Größe der Kessel kann man nur erahnen, der Geruch von Bier und Malz ist schon lange unter Staubwolken begraben. Ich frage mich immer, wie man diese Kessel dort heraus bekommen hat und wer das geschafft hat. Zu gerne hätte ich einen dieser gigantischen Braukessel mal gesehen und das Blubbern darin gehört. Noch viel lieber hätte ich eines der original hell gebrauten sogenannten Meisterbräu Biere probiert!
Wie aus dem Nichts ertönt plötzlich lautstark ein ratterndes Motorengeräusch. Ein Baufahrzeug wurde von einem Bauarbeiter angeschmissen. Und das am Feiertag! Wir gucken uns fragend an und verharren, wo wir sind, in der Hoffnung, dass der Typ nicht in unseren Gebäudeteil kommt. Genauso plötzlich, wie der Motor ansprang, tritt plötzlich Stille ein. Wir wissen nicht, was das zu bedeuten hat und legen uns hinter einem Steinhaufen auf die Lauer. Der Abriss-Schutt neben uns führt in den unterirdischen Kellerbereich, der die Gebäude miteinander verbindet. Eine gute Gelegenheit, ungesehen über das Gelände zum Gebäude gegenüber zu gelangen. Gedacht, getan. Die Steine unter meinen Füßen wackeln bedrohlich. Eine falsche Bewegung, und der ganze Berg würde ins Rutschen geraten. Ob ich mich würde halten können oder darunter hätte eingeklemmt werden können, male ich mir nur für eine Sekunde aus und verdränge den Gedanken. Im Keller an den Decken sind zu unserer Überraschung lange Leuchtstoffröhren eingeschaltet. Sie baumeln provisorisch an Kabeln. Sollten heute etwa doch Leute hier arbeiten? Eine obligatorische Lauschminute verspricht aber freie Bahn, sodass wir ungestört die ganze unterirdische Bierwelt erkunden. Viel ist nicht mehr übrig geblieben. In ein paar Nischen liegen verrostete Fässer, hier und da kleine, leere Pullen und verkrustete Löffel. Die leeren Pullen kann ich gut nachvollziehen, wie man allerdings Bierfässer zurücklassen kann, bleibt mir unerklärlich. Warum haben die keinen Räumungsverkauf gemacht? Die großen Tankbehälter sind aber immer noch faszinierend. Nach ausgiebigem Ausleuchten aller Gewölbe kommen wir wieder zu den baumelnden Bauarbeiterlampen. Zugegeben bin ich erst etwas konfus hin- und hergelaufen, so ein Kellergewölbe bietet nicht viel markante Orientierungspunkte. Aber meine Urbex-Begleiterin hat in Sachen Orientierung einen erstaunlich klaren Sinn. Und so lassen wir uns fluoriszierend den Weg ins Licht auf der anderen Seite leuchten.
verlorene Spuren in der alten Brauerei
In den oberen Etagen des hinteren Brauerei-Gebäudes verpuffen unsere Schritte im Staub der langen Bürogänge. Die Sonne kann ungehindert die leeren Räume ausfüllen. Interessant finde ich, daß die Türen im Verwaltungsbereich alle aus Holz sind. Das wirkt durchaus hübsch mit ihren unterteilten Formen. Nach ein paar Stunden Gebäudeinspektion finden wir im ersten Stock den Party-Raum in purple-rot mit ein paar Schnapsgläsern hinter dem Tresen und sogar noch einem großen Bierglas. Mein Bier ist allerdings draußen im Rucksack. Und der Staub hätte bestimmt auch nur gekratzt im Hals. Wie üblich in verlassenen Gebäuden fehlt alles aus Metall, was nicht niet- und nagelfest ist. Zu meinem Erschrecken fehlt auch das Treppengeländer in einem der Gebäude, was beinah dazu führte, daß ich in die nackte Tiefe gefallen wäre! Ich sah am Treppenabsatz in einem unbedachten Moment aus dem Fenster und ging dabei gerade weiter. Im letzten Moment blieb ich wie durch den Halt einer sanften Geisterhand stehen, erwachte aus meinem unkonzentrierten Tagtraum und erkannte, wie knapp ich dem Abgrund entkommen bin. Ja, Lost Places sind spannend, aber auch sehr gefährlich! Dieses fotografische Hobby erfordert neben der Abenteuerlust höchste Konzentration, und das permanent! Es können einem nicht nur Löcher im Boden zum Verhängnis werden. Man kann sich an Glassplittern verletzen, Steinbrocken oder Ziegel können sich geräuschlos aus der Decke lösen, Treppen wegbrechen, Strippen zum Verheddern herumliegen oder -hängen, Stahlrohre aus einer Wand herausstehen und noch so viel mehr! Alles schon (fast) erlebt! Besonders, wenn es bereits zu Brandschäden gekommen ist, wie auch in dem vorderen Gebäudeteil der Freyberg-Brauerei. Und dennoch: die verliebenen Spuren an Originalen der Vergangenheit von verlassenen Orten zu entdecken sind und bleiben für mich das Spannendste!
weitere Hintergrund- und Geschichts-Informationen zur Freyberg-Brauerei:
https://www.mcm-immobilienkonzepte.de/aktuelle-projekte/freyberg-brauerei
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Freyberg-Brauerei_(Halle)