Der verlassene Ballsaal “Pastell”

Der verlassene Ballsaal “Pastell”

Das verlassene Kulturhaus mit der schönen pastell-farbenen Decke ist dem Untergang geweiht

Ein verlassener Ballsaal in einem ehemaligen Kulturhaus in Sachsen, wie er an Schönheit seinesgleichen sucht, hat heutzutage einen gewissen Seltenheitswert, um nicht zu sagen endlichen Geschichtswert. Denn so ein altes Kulturhaus wie dieses, dass einen Ballsaal mit Säulen, Stuckverziehung an der Decke, und einer Bühne besitzt, ist typisch – aber auch nur für die ehemalige DDR. Und er ist endlich, da die ehemaligen Kulturhäuser mit Ballsaal dem Verfall überlassen werden.

In der ehemaligen BRD gab es Theater, Kinos, Stadthallen. Vielleicht noch wichtiger zu erwähnen: es gab genügend Menschen, die ein Auto besaßen, um ggfalls von ihrem Dorf in die Stadt zu fahren. Das war in der DDR etwas anders. Große Landstriche waren geprägt von landwirtschaftlichen Betrieben (LPG’s), der nächst größere Ort weiter weg, Kulturveranstaltungen ohne Auto nicht jederzeit erreichbar. Und so hatten viele kleinere Orte und Dörfer ein Veranstaltungshaus, in dem kulturelle Aufführungen und Tanzfeste für die Anwohner stattfanden: ein sog. Kulturhaus mit Ballsaal. Viele dieser Kulturhäuser haben im ersten Stock, in dem sich immer der Ballsaal befand, hohe Fenster mit Halbrundbogen. Der Ballsaal befand sich übrigens aus dem Grunde im ersten Stock, da der Boden als Schwingboden konstruiert war, um den vielen schwingenden Tanzbeinen stand zu halten. Man sagte daher früher auch: “Wir gehen auf den Saal”, nicht in den Saal.

Ich muss auch “auf” den Ballsaal, auf den ich mich schon sehr gefreut habe, den ich aber wohl im Vorbeifahren nicht diesem stark zerfledderten Kulturhaus zugeordnet hätte. Das halbe Dach ist weggefegt und das Nebengebäude hängt etwas durch. Im Inneren sieht es nicht anders aus. Ich puhle mich von der Rückseite des Gebäudes durch das Kellergeschoss über einen Haufen von Backsteinen und Mauerteilen, die den ganzen Kellerbereich einnehmen und sich fast bis zur Decke auftürmen. Geduckt hangele ich mich über das Geröll bis zu einer Treppe, die ich unter normalen Umständen nicht mehr betreten hätte. Aber das Prachtstück dieses verlassenen Ballsaals möchte ich schon mit eigenen Augen gesehen haben, bevor er für immer hinüber ist und taste mich schwebend hoch. Auf Zehenspitzen betrete ich den inzwischen gefährlich aufgeweichten Boden des Ballsaals und staune! Was für eine Schönheit! Die mittlere Säule hängt bedrohlich auf halb acht, mehrere Löcher in der Decke lassen sämtliche Hoffnung auf Erhalt verfliegen, ein rechts von der Decke zum Boden gespanntes Stahlseil ergibt für mich keinen Sinn mehr. Ich habe gerade mein Stativ in Position gebracht und das erste Bild gemacht, da kommt von gegenüber rechts neben der Bühne ein Pärchen. “Hä?”, schießt es mir durch den Kopf, “wie geht’n das jetzt?!” Ich winke beide zu mir, um zu erfahren, wie sie so scheinbar ohne jede Anstrengung herein gekommen sind. “Vorn an der Straße hinter dem Busch ist eine Treppe”, sagt die junge Frau, beinahe ebenso überrascht, dass ich die Frage überhaupt stelle. Ich bin baff und nehme mir für die Zukunft vor, mein Credo “ungesehen hinein, ungesehen hinaus” vielleicht hinsichtlich mancher Umstände meiner “Eintrittswege” nochmal zu überdenken. Für dieses Mal setze ich meine neue Herangehensweise gleich beim Abschied von diesem traumhaften Ballsaal und bedauerlichem Kulturhaus in die Tat um und nutze die Treppe vorn. Ich will ja eh noch ein Foto von vorn machen…