Der abgehängte Kulturpalast
Eine abgehängte Decke verdeckte während der DDR-Zeit die eigentliche Schönheit
Ich blicke abwechselnd auf den verlassenen Kulturpalast und auf meine Windschutzscheibe und überlege, ob ich überhaupt aus meinem Auto steige, geschweige denn über irgendetwas hinüber. Es regnet in Strömen, aus allen Kübeln, es gatscht, es plästert. Auf der Straße bilden sich erste kleine Bäche und Seen. Aber mein Wochenende ist begrenzt und mit genügend Zielen verplant. „Wenigstens mal kurz hinein gucken und schauen, ob es sich überhaupt lohnt“, denke ich und lasse meine Kamera mit Stativ im Trockenen. Ein Handy macht ja heutzutage auch keine üblen Bilder. Mein T-Shirt ist bereits nach wenigen Schritten durchnässt, das Regenwasser läuft mir die Arme herunter – doch ich wage den Versuch der „Hürdenüberwindung“. Auf dem Grundstück dieses ehemaligen Kulturhauses stehen bereits Baufahrzeuge, der Boden ringsum ist komplett aufgerissen und die reinste durchbaggerte Erdpampe. Das schockt aber weder mich noch die fetten Sohlen meiner Wanderschuhe. Ich watsche bis zum Seitenflügel vom Kulturpalast und bin froh, dass ich es ins Innere schaffe, wo es trocken ist.
Der Angriff der Abriss-Arbeiten hat sich schonungslos ausgebreitet. Ich laufe durch leere Räume, viele davon bereits von starkem Verfall geprägt. Teile von Trennwänden fehlen, Brocken vom Mauerwerk liegen herum, Fußböden sind bis auf die Knochen weg gerissen. Als ich in den Vorraum des großen Saal komme, ahne ich Schlimmes. Die Decke entblößt ihre Holzbalken, die Dämmwolle fleddert haltlos aus den Fugen. Und irgendetwas fühlt sich komisch an beim Gehen. Ich trete abwechselnd auf harte Teile oder sinke butterweich ab. Außerdem bleibe ich dauernd mit den Fußspitzen an etwas hängen. Irritiert blicke ich nach unten und erkenne, dass der Fußboden eigentlich gar nicht mehr da ist. Er wurde aufgerissen und nur die dünnen Holzstreben und die Bauwolle dazwischen sind übrig, und aus dem Holz stehen lange Nägel wie tückische Krallen hoch.
Dasselbe Boden-Drama erlebe ich im Hauptsaal, dafür aber eine ausgesprochen positive Decken-Überraschung. Zu DDR-Zeiten war die Decke von diesem ehemaligen Kulturpalast aus dem Jahr 1951 mit Platten abgehängt. Nun haben die Bauarbeiten eine wunderschöne Pracht frei gelegt. Ich kann gar nicht fassen, warum man so eine schöne Decke überhaupt verdeckt. Eigentlich hatte ein Kulturhaus in der DDR doch meist eine schmucke Decke, teilweise sogar richtig prachtvoll mit Stuck und Malerei.
Aber es gibt sowieso einige Merkwürdigkeiten bei diesem Kulturhaus, auch schon zu Zeiten der DDR. Der 1951 eingeweihte Kulturpalast der Werktätigen beherbergte einen Theater- und Tanz-Saal, außerdem ein Restaurant und ein Café. Doch schon 1967 wurde der Prachtbau wieder geschlossen, ohne dass es ersichtliche Gründe gab. Es gab eine Nutzung vom Fernsehen der DDR und anschließend vom MDR bis 1999, danach waren Verfall und Vandalismus eingezogen. Nun sollen im ehemaligen Kulturpalast bis 2023 Wohnungen entstehen. Eigentlich schade, aber was will man machen.
Eine kleine Kuriosität am Rande: die Gemälde an den Wänden sind nur aufgemalt, also keine richtigen Bilder in keinem echten Rahmen. Es gibt weder Leinwand noch Bilderrahmen, nur bemaltes Mauerwerk. Selbst der Schatten ist nur aufgemalt und simuliert einen dreidimensionales Bild. Ich habe es auch erst aus der Nähe erkannt!
weblinks mit infos:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturpalast_(Chemnitz)
https://www.tag24.de/chemnitz/bis-2023-ehemaliger-chemnitzer-kulturpalast-wird-zum-wohnareal-1732857
https://werk32.net/datenbank/kulturpalast-der-wismut-karl-marx-stadt-chemnitz/