Das verlassene Rittergut V

Das verlassene Rittergut V

Ein altes Rittergut, dass zuletzt von einem Holländer als Hotel betrieben wurde

Man muss die Google-Karte schon ziemlich groß zoomen, damit der Name des Ortes sichtbar wird, in dem sich dieser Lost Place befindet. Es handelt sich um ein verlassenes Hotel – ursprünglich ein verlassenes Rittergut, das 1903 erbaut wurde. Ein Niederländer hatte das alte Rittergut nach langem Leerstand erworben und als Pferde-Hotel betrieben. Der Erfolg war aber mäßig bis ungenügend, da es laut Hotelbewertungen ziemlich vermüllt war. Vor ein paar Jahren hat er den Hotelbetrieb eingestellt und das im Jugendstil erbaute Herrenhaus zum Verkauf angeboten. Ob man ein verlassenes Hotel in diesem Kuhkaff überhaupt zum Laufen bekäme, wage ich zu bezweifeln.

Das verlassene Hotel wirkt tatsächlich ganz schön unordentlich und zugemüllt. In der Eingangshalle liegt sehr viel Kram auf einem großen Haufen. Von Autoradio und Fahrgestellfeder über Kaffeetasse, Videokassetten und Tischdecken findet man alles mögliche, was nicht zusammen gehört. Der ritterlich wirkende Speiseraum sieht noch chaotischer aus. Auf dem Fußboden finde die Liste einer Auktion, bei der alle möglichen Gegenstände zu recht ordentlichen Preisen angeboten werden. Vielleicht wurde hier deshalb das ganze Zeug zusammen getragen. Man weiß es nicht. Die einzelnen Zimmer machen für einen verlassenen Ort eigentlich einen ganz guten Eindruck. Es ist zwar überall etwas Unordnung, aber wenig Zerstörung. Nach Vandalismus sieht es nicht aus. Auch mal erfreulich. In der ersten Etage finde ich ein Badezimmer mit zwei Badepoolen. In der gefliesten Sitzbank befinden sich zwar Düsen, aber einen Whirlpool hatte ich anders in Erinnerung. Vielleicht dienten sie als Waden-Massage. Oder als kühlender Zufluss wie bei einem Kneipp-Bad? Ich werde es nicht mehr herausfinden.

Während ich mich noch frage, wie und wo man am besten in eines der Kachelbecken einsteigen sollte, da der Rand recht hoch bzw breit ist, bemerke ich am Fenster eine flatternde Bewegung. “Ooohhh neeeiin!”, schießt es mir durch den Kopf. Ein kleiner Spatz ist durch ein Loch oben im Glas der Doppelfenster herein gekommen und findet den Weg hinaus nicht mehr. Panisch flattert er zwischen den Doppelrahmen herum. Das kann ich natürlich nicht mit ansehen! Ich klettere (wie haben die sich das mit dem Einstieg vorgestellt?!) in die eine Badewanne und öffne langsam das innere Doppelfenster einen winzigen Spalt. Gerade mal so weit, dass ich mit meinen Händen dazwischen komme. Als der Spatz unten in der Ecke sitzt, versuche ich ihn mit meinen Händen zu umschließen. Doch er riecht den Braten und entschlüpft. Den Spalt zwischen den Rahmen hat er natürlich auch entdeckt, fliegt hinaus und ‘rüber in ein anderes Zimmer. Ich gebe nicht auf und folge ihm. Dort gelingt es mir dann auch, den kleinen Piepmatz mit beiden Händen einzufangen. Ich freue mich und bin total stolz, doch sogleich wird mir klar, dass ich nun mit geschlossenen Händen kein Fenster öffnen kann. “Hm”, denke ich, “glattes Eigentor!” Ich gehe wieder zum Badezimmer und starre auf den hohen Badewannenrand. “Großartig, wie komm’ ich denn jetzt zum Fenster: keine Hand frei zum abstützen…boah…egal, muss irgendwie gehen.” Wie gut, dass mich keiner beobachtet hat. Mit Fingerspitzen und Ellbogen gelang es mir, die Fensterflügel zu öffnen und den zarten Spatz dann in die Freiheit entlassen. Ich hatte den Eindruck, er stand kurz vor dem Herzinfarkt vor Angst. Ich auch, aber mehr vor Anstrengung. Doch das Gefühl, dem Vögelchen geholfen zu haben, war rückblickend fast noch schöner, als die Entdeckung dieses Lost Places.

Gegenüber vom verlassenen Rittergut steht die denkmalgeschützte Kirche Sankt Bonifatius. Der schlichte romanische Bau aus Bruchstein bestehend aus Westturm und dreiseitigem Ostschluss entstand vermutlich im 12. Jahrhundert. Im Inneren beherbergt sie einen ebenso schlichten Altar aus dem Jahre 1725.

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