Die verlassene Sternburg-Brauerei

Die verlassene Sternburg-Brauerei

Die Luft flimmert ausgedörrt über dem Asphalt, als mein Wagen auf den Parkplatz hinter der Brauerei rollt. Die Schatten liegen tiefschwarz und hart am Boden, über uns sticht die Sonne mit knapp 30°C auf uns ein. Schon jetzt bereue ich, dass ich nur eine Halbliter-Wasserflasche für die Tour durch die ehemalige Sternburg Brauerei mitgenommen habe. Ich kann aber ein bisschen triumphieren, denn mein Lost-Place-Begleiter hat gar keine Flasche dabei. Das kommt mir nach meinen jahrelangen Erfahrungen sehr bedenklich vor, aber vielleicht ist er biologisch mehr so Typ Dromedar und kann mehr Flüssigkeit speichern, er ist ja auch größer als ich. Dafür hat er für später ein paar Bier-Döschen im Rucksack, was die Aussicht auf einen guten Tagesabschluss schon am Anfang deutlich erhöht. Wir finden gleich bei den Büschen einen schmalen Trampelpfad, der auf das Gelände führt. Klettern wäre auch nicht ganz so günstig gewesen in meinem dünnen, trägerlosen T-Shirt und etwas zu enger Jeans. Normalerweise zieht es wie Hechtsuppe in verlassenen Gebäuden, erst recht in alten Industriegebäuden wie diese verlassene Brauerei. Bei den australischen Außentemperaturen des heutigen Tages war allerdings selbst der Keller gerade mal erfrischend genug. Dass es eine riesige Unterkellerung gibt, die die Gebäude untereinander verbindet, sollten wir später noch herausfinden, wobei das mit dem wieder herausfinden dann noch eine andere Sache war. Aber erstmal fangen wir vorne an, geografisch eher hinten, was die Anordnung der Gebäude betrifft. Obwohl alle Räume längst leer sind, bieten sie interessante Motive. Der schmale Gang im ersten Stock bringt mir kurz die Frage, ob es zu der Bauzeit keine fülligen Menschen gab, denn der Gang ist kaum breiter als ich. Na gut, vielleicht misst er etwa 1,20m. Gern hätte ich alles mal mit jemandem besichtigt, der hier früher gearbeitet hatte und vielleicht sogar den Bauplan kennt, zumindest sich in der Brauerei auskannte und erklären kann, wofür so manche Konstruktion war. Mich hätte z.B interessiert, was das immer für runde Löcher mit Metallring im Boden sind? Ich ziehe weiter ins nächste Gebäude mit einem Uhrenturm. Von der Uhr ist nichts mehr übrig geblieben, nicht einmal von der Holztreppe, die der Zugang zum Uhrwerkturm war. Ich hätte mich vielleicht an dem Metallgitter des Fahrstuhles hinüber zum Stahlträger auf den schmalen Vorsims hangeln können, aber wie immer sehe ich das erst später auf den Fotos. Der Dachstuhl fiel vor ein paar Jahren leider als einer von fünf Brandherden einer Brandstiftung zum Opfer, dafür aber gibt er mir ein gewisses aufregendes Kribbeln bei freien Blick auf das Gelände. Vor dem dritten und größten Gebäude finde ich einen prall gefüllten Brombeerstrauch, der ein paar Minuten später nach mir deutlich beerenloser war. Warum sollte ich die köstlichen Früchte auch dran lassen? Mir bringen sie eine erfrischende Zwischenstärkung und Insekten und Vögel haben eh einen kleineren Magen. Mit diesem frischen Vitaminschub komme ich in das große Braugebäude. Wie immer sind die verbliebenen Löcher der Kessel gigantisch. Sie erinnern mich hier an eine stilisierte Mickey Maus. An der Decke sitzt noch die Original-Lampe in Sternform. Ein kleines Highlight. Die vielen verschiedenen Treppen in diesem weitläufigen Gebäude sind äußerst verwirrend, da sie nicht automatisch alle Etagen miteinander verbinden und man teilweise bis ans gegenüberliegende Ende eines Stockwerkes gehen muss, um an der anderen Seite eine Treppe zu einem neuen Bereich zu nehmen. Wie ich also irgendwann bei den riesigen Gärbecken gelandet bin, kann ich nicht mehr nachvollziehen, ich würde sie wohl auch nicht mehr wiederfinden. Der Prozess, der in diesen Becken abläuft, wird im Bierjargon „Gärende Würze“ genannt. Mir drängt sich die Frage auf, wie die gärenden Biervorstufe aus den Becken fließt, denn ich sehe kein Abflussrohr. Ebenso wüsste ich gern, ob es eine Notwendigkeit für die niedrigen Decken gibt. Ich muss erkenntnislos weiterziehen. Am anderen Ende führt eine Treppe bis unter die Kuppel, wo wir ein Protokoll-Buch der Telekom finden. Sogar zwei Serverräume finden wir, von dem bei einem die Gipsdecke kaputt gekloppt ist. Durch das Loch erkennen wir noch blinkende Lämpchen von einem Gerät. Unfassbar! Auf dem Dach führen dicke Kabel in einen zylindrischen Metallraum, in dem wohl mal eine Sendeanlage der Telekom war. Sollte sie noch in Betrieb sein, wären diverse Störungen hiermit erklärt, denn Tür und Kabel waren frei zugänglich, und das wohl schon seit Jahren. Die Sonne läuft bereits abwärts, sodass auch wir 5 Stunden nach Beginn unserer Urbex-Tour von Treppe zu Raum zu Treppe zu Raum nach unten und draußen gehen, um uns ein leckeres Döschen Erfrischungsgetränk inhaltlich passend zur verlassenen Brauerei zu gönnen. Doch bevor wir das Gelände verlassen, erkunden wir zu guter Letzt die Unterwelt der Sternburg-Brauerei. Eine äußerst schmale, geflieste Halbwendeltreppe führt in absolute Dunkelheit und extrem feuchte Luft. Ich schalte die Taschenlampe meines Handys ein, weil ich schon nach wenigen Metern die Hand vor Augen nicht mehr sehen kann und tatsächlich im Schwarzen stehe. Testweise mache ich ein Foto mit meinem Handy, weil mir die Feuchtigkeitsflocken im Licht so unglaublich erscheinen. Das Flockengestöber wirkt auf dem Foto wie ein Schneesturm. Mit bloßem Auge nimmt man nichts davon wahr. Kurz überlege ich, ob ich in dieser Umgebung weiter atmen sollte. Aber es würde mein Erlebnis kurz und schnell beenden, noch bevor ich mit meinem mangelhaften Orientierungssinn auch nur eine grobe Vorstellung vom rettenden Ausgang hätte. Die unterirdische Welt erstreckt sich für mein Empfinden etwas konzeptlos, darüber hinaus auch ohne erkennbaren Nutzungsfaktor der gewölbeartigen Hohlräume mit Bullaugen-Öffnung. Der gekachelte Gang ist hier so eng, dass wir hintereinander gehen. Irgendwann müssen wir über blaue Plastikkisten, die im von Wasser überschwemmten Boden liegen, weiter hüpfen und landen bei noch größeren Räumen, die aufgrund des Wasserstandes nicht zugänglich sind und daher eine unerforschliche Tiefe haben. Am Geländer stehend erkennen wir ein Fahrrad aus der Moddersuppe gucken. Wie das hier in den stockdunklen Kellerbereich kam, bleibt ungelöst. Weiter hinten am Ende dieser Gewölberäume lässt ein Fahrstuhlschacht Licht in die Tiefe. Einerseits ein leicht beruhigendes Gefühl, Licht im Dunkeln zu sehen, andererseits bietet er keinen Ausgang. Auch hier ist die hinab führende Treppe nicht leicht wiederzufinden, da die hinaufführenden uns nicht zum Ursprung und damit nicht zum Ausgang bringen. In Zeiten der Digitalisierung bringt einem in diesen Tiefen auch Google Maps nichts, da es null Empfang gibt. Man muss schon einen sechsten Sinn haben oder jene supergute Orientierungsgabe, die mir leider nach drei Abzweigungen oft abhanden kommt. Meine Urbex-Begleitung hat zum Glück ein gutes Gedächtnis, und so können wir nach 9 Stunden Gesamtaufenthalt nochmal kurz entspannt den heißen Sommertag mit Erfrischungsbräu ausklingen lassen. Das dann aufkommende Starkgewitter zwingt uns wenig später, bei einer Tankstelle Unterschlupf zu suchen, da die Straßen in der Wasserflut verschwimmen und der Regen sinntflutartig auf mein Auto nieder geht. Noah hätte also ein Auto nichts genützt, mir allerdings auch nicht die Arche. In der Wartezeit schauen wir uns in der Tanke um. Natürlich entdecken wir ein Erfrischungsgetränk mit einem roten Stern auf dem Kronkorken. Wir grinsen uns an….

weblinks:

https://de.wikipedia.org/wiki/Sternburg_(Bier)

https://de.wikipedia.org/wiki/Sternburg_(Bier)

https://www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Das-soll-aus-der-alten-Sternburg-Brauerei-in-Leipzig-Luetzschena-werden