das FDGB-Erholungsheim Hermann Duncker
Der Lost Place mit dem roten Sessel
Dieses Objekt hatte ich schon ewig auf meiner Liste, aber wie es immer so ist, kommt es anders. Oder eben später. Und da ich nicht so der Typ Lerche bin, habe ich bisher erst einmal die nahen Lost Places in Angriff genommen. An einem sonnigen Wochenende passte es sich dann. Und ich sollte eine tolle Begegnung haben, wie es unglaublicherweise typisch für mein Leben ist…
Normalerweise versuche ich nicht direkt vor dem “Objekt” zu parken, da es immer neugierige Augen der Nachbarschaft gibt, die sich dazu berufen fühlen, Recht und Ordnung der Umgebung zu prüfen. Und so tuckere ich ganz langsam in den kleinen Ort hinein, setze dabei einen möglichst gleichgültigen Blick auf, während ich haarscharf nach jeder Möglichkeit zum unauffälligen Parken Ausschau halte. Ein schlanker Mann sitzt an der Straßenecke in Hockstellung. “Seltsam”, denke ich, “haben die hier nicht mal Bänke?” Nun ja, ich weiß ja nicht, woran zu DDR-Zeiten gespart werden musste. Wir haben kurz Blickkontakt und ich überlege, ob ich ihn frage, wo ich parken könnte, will aber keine schlafenden Hunde wecken. Leider führt nur eine einzige Straße durch den Ort, deren Ende ich auch schon wenige Minuten nach Ortseinfahrt erreicht habe. “Hä?! Das ist jetzt nicht der Ernst?!”, geht es mir durch den Kopf. “Ein Ort ohne Seitenstreifen, Parkplätzen oder sonst einer Abstellfläche?!?! Und dann auch noch am Straßenrand überall Halteverbot! Das darf doch nicht wahr sein!” Fassungslos kehre ich um, komme zwangsläufig wieder an dem hockenden Mann vorbei und lasse nun doch zum Fragen das Fenster herunter. Er erklärt mir, man könne hier nur bei den Hotels direkt parken. Welches denn meines sei, erkundigt er sich. “Äh….” Ich hüstele. “Ich will hier nur so fotografieren.” “Was denn?” Mir fällt eine Szene von Loriot ein: “Ich will hier nur sitzen.” Wahrscheinlich gucke ich zu lange sprachlos, jedenfalls bietet er mir an, bei ihm auf dem Grundstück zu parken, ihm gehöre das Schloss. Ich mustere ihn. “Schloss. Na klar”, lache ich innerlich, zeige es aber nicht und nehme das Angebot skeptisch aber dankbar an. Er geht vor, ich schleiche im ersten Gang hinterher und stelle mein Auto dann in einer kleinen Seitenstraße auf einem Stück Rasen ab, Daneben: das Schloss. Ich bin baff. Es ist mehr so eine kleine Ritterburg oder ein größerer Herrensitz. Aber immerhin. Wir kommen sehr nett ins Plaudern und er lädt mich zu einer Art Besichtigung ein. Kurz wäge ich ab, schließlich bin ich allein als Frau, und man weiß ja nie. Aber mein Bauchgefühl gibt grünes Licht, und so zeigt er mir nicht nur seinen Wohnbereich sondern erzählt mir auch, dass er freischaffender Künstler ist. Das Schlösschen hätte er für ‘ne schmale Mark gekauft und als gelernter Maurer alles allein renovieren können. Was es alles gibt.
Ich bin nun bereit, ihm ehrlicherweise mein eigentliches Fotoziel zu nennen, woraufhin er mir anbietet, mich zu begleiten. Er würde eine günstige Stelle im Absperrzaun kennen.
“Wie seltsam”, denke ich, als ich näher komme. Von weitem noch gut sichtbar, scheint sich das recht große Steingebäude gut hinter den dicht stehenden Bäumen tarnten zu können. Je näher wir kommen, umso weniger erkenne ich etwas von diesem interessanten Architekturbau. Schade eigentlich, denn die Mischung aus brutalem Stein und fachwerkartigen Holzteilen hat was. Das Innere zeugt von jahrelangem Vergessen und der Macht der Witterung in dieser Region. Viele Fenster sind kaputt, einige Wandteile kaputt gebrochen, eine Dachgaube herab gestürzt. Es zieht an manchen Ecken ganz schön unangenehm. Aber noch viel unangenehmer finde ich den Zustand der Fußböden. Im Untergeschoss geht man beinahe nur noch auf weichem Lehm. Die Räume und Flure darüber sind ebenfalls stark durchgeweicht. Am Schlimmsten betroffen ist der große Raum mit dem roten Sessel (oder was davon übrig ist), sowie im Erdgeschoss der Bereich mit den drei rotgeländrigen Treppen. Dagegen überraschen die Holztreppen mit beharrlicher Stärke.
Meine Begleitung lenkt meine Blicke immer wieder auf Details dieses Gebäudes, die ich allein weder beachtet hätte noch würde beurteilen können. Durch seine gelernte Kenntnis über Maurerwerk und Architektur erhalte ich tolle Informationen. Mir ist besonders der sogenannte Korbbogen im Gedächtnis geblieben (siehe zB Foto 2): eine lang gestreckte, abgeflachte Rundbogenform über Türen oder Durchgängen.
Nach kurzer Zeit lässt mich der Maurer-Künstler allein und ich schlenderte in der verbleibenden Stille durch das Gebäude. Dabei suche ich nicht nach original Überbleibseln der Vergangenheit, denn dieses Haus wirkt für sich und in sich nur durch seine Formen und Elemente. Ich bin gerade mit der Erkundung des Gebäudes und fast allen Fotos fertig, als ich im Raum neben mir unvermittelt erst ein Rascheln und gleich darauf das unverkennbare Geräusch von herunter krachendem Gemäuer höre. Ob es nur der Wandputz oder die ganze Zimmerwand oder das halbe Gebäude ist, will ich in diesem Augenblick gar nicht wissen. “Raus hier”, denke ich. Ohne lange zu überlegen stauche ich mein Stativ zusammen, schnappe mein Zeug und renne aus dem Haus. Ab durch den Garten, Hauptsache aus der Gefahrenzone. Mein Herz pocht schneller, meine Bewegungen sind hoch konzentriert auf Schnelligkeit ausgerichtet. Urban Exploring heißt nicht nur, körperlich fit zu sein, sondern auch permanent wachsam.
Es war ein toller Tag an einem tollen Lost Place, der leider der Witterung nicht mehr stand halten und damit irgendwann für immer verschwinden wird.