Lost in Lockdown

Lost in Lockdown

Es geht nun schon seit über einem Jahr so: Geschäfte öffnen, Geschäfte schließen, Hotels dürfen Gäste beherbergen, dann wieder nicht, Fabriken produzieren auf Hochtouren, dann wieder stehen alle Maschinen still. Das Leben, die Produktion, das Miteinander ist dem Fluch des Corona-Virus erlegen und die weitreichenden Spätfolgen sind nur spekulativ zu erahnen.

Jetzt könnte man meinen, dass es doch eine gute Gelegenheit ist, vermehrt Lost Places zu erkunden, wenn man sonst schon nichts im öffentlichen Leben machen kann und kein Shop, Café o.ä geöffnet hat. Die Idee schien mir anfangs plausibel, aber ist das wirklich gut? Bringt die Lage, in die uns Corona mit den gesellschaftlichen Einschränkungen und Lockdowns gebracht hat, nicht eher Nachteile für verlassene Orte mit sich?

Die bisherigen Lost Places, die ich erkundet habe, sind durch geschichtlichen Hintergrund verwaist. Da wäre ganz vorn der Umbruch nach der deutschen Wiedervereinigung zu nennen. Ein heute verlassenes Hotel im Harz mag vor der Wende gut gegangen sein, nach 1989 aber war für viele Bürger der nun ehemaligen DDR ein Flug nach Mallorca oder in andere westliche Länder interessanter. Der einsetzende Tourismus in umgekehrter Richtung kam für die meisten Hotels zu spät. Heute boomt der Harz wieder, ebenso im Thüringer Wald. Die Menschen haben das Wandern wieder für sich entdeckt und die schöne Natur im ehemaligen Osten. Das nützt den verlassenen Hotels nach 30 Jahren wenig. Umso interessanter ist für mich dadurch aber das oft noch vorhandene Interieur, das in der damaligen Zeit stehen geblieben ist. Genau das macht den Reiz für mich aus. Ähnlich verhält es sich mit verlassenen Industriegebäuden aus DDR-Zeiten oder einer verlassenen Heilstätte. Zum damaligen Zeitpunkt der Schließung waren Maschinen, Geräte, Architektur aus einer Ära, die ich nicht miterlebt habe bzw wo ich noch Kind war. Die Gebäude unterlagen inzwischen dem Zahn der Zeit und einem natürlichen Verfall, der den Charme von Lost Places ausmacht.

Wie aber sieht es heute aus, vor allem, wie werden künftige Lost Places aussehen? Können sie lange genug friedlich verwittern, ohne dass Horden von Jugendlichen alles kaputt trampeln, nur um bei Facebook oder Instagram “likes” abzugreifen und sich wichtig zu machen? Denn die wenigen echten Urbexer, die mit Respekt und Vorsicht durch die verlassenen Orte gehen und die verfallenen Spuren zu schätzen wissen, werden ebenso verdrängt und haben kaum noch eine Chance, einen Lost Place ohne Vandalismus zu entdecken. Die Jagd nach Lost Places ist so in Mode gekommen, dass neu entstandene verlassene Orte kaum noch überleben werden.

Der für uns alle lästige und nicht ungefährliche Virus Corona wird neue verlassene Orte hervorbringen. Selbst mit den staatlichen Hilfsgeldern, die nicht überall gerecht ankommen, werden einige Geschäftsbranchen nicht überleben. Hotels werden schließen müssen, Gastronomen dicht machen, Fabriken aufgeben. Ich wünsche es keinem, aber das ist leider die erschreckende Zukunft, für die ich auch unserer Politiker verantwortlich sehe. Ob diese still gelegten Orte aber in Ruhe zu einem wirklichen Lost Place werden können, wage ich zu bezweifeln…