Der verlassene Gasthof mit Ballsaal “rotes Pult”

Der verlassene Gasthof mit Ballsaal “rotes Pult”

Kuriose Erlebnisse einer Urbex-Tour

Manchmal hat man ja ein “Brett vor dem Kopf”. So ging es mir bei meinem ersten Anlauf zu diesem verlassenen Gasthof mit Ballsaal “rotes Pult”. Aber ich kenne das schon aus meinem Leben: ich muss einige Sachen zweimal angehen, damit sie klappen. Warum auch immer. Vielleicht geht es dann im nächsten Leben doppelt so schnell. Egal.

Ich hatte im Jahr zuvor einen Fototermin mit dem Besitzer vom Gasthof “Lindenhof”. Auf der Hinfahrt rauschte ich in einer schmalen Straße gefühlt auf zwei Reifen in die Kurve. Die passende Geschwindigkeit für Sachsens Straßen hatte ich damals noch nicht optimal ‘raus. Zugegeben ist das auch heute ab und zu noch der Fall. Im Flachland Niedersachsen kann man ganz anders über den Asphalt bügeln. Aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls sah ich aus dem Augenwinkel ein Stück verfallenes Gebäude. “Wenn das ma’ nich’ ein alter Gasthof is…” schoss es mir durch den Kopf und ich suchte sofort nach einer Möglichkeit zum Wenden. Das nächste Ding mit vielen Straßen in Sachsen. Es gibt so gut wie keine Seitenstreifen, kaum Parkstreifen oder Parkbuchten – einfach keinen Platz, um mal eben zu drehen. “Ich fahr’ doch jetzt nicht ganz ‘runter bis in den Ort…!”, dachte ich trotzig und bremste eisenhart bei einer kleinen Einbuchtung mit Sitzbank. Ich hantierte mit dem Steuerknüppel und leitete das “Wenden-in-drei-Zügen” ein. “Wenn jetzt einer entgegen kommt, hatta Pech…”. Manchmal muss man eigennützig das Ziel anstreben. In Sachsen besonders. Zögern ist nicht. Nicht in Sachsen. Hier wird straff und ziemlich flott gefahren. Vielleicht wollen die nie wenden. Sei`s drum, ich tastete mich rückwärts fahrend in die kleine Bucht. “Da war doch irgendwo ‘ne Sitzbank…”, überlegte ich, da tauchte sie auch schon im Seitenspiegel auf. Mein Fuß schnellte auf die Bremse. “Puh, haarscharf”. Noch während ich das dachte merkte ich in Zeitlupe, dass die physikalische Schubkraft mein Auto noch etwas nach hinten drückte. “Neeeiiin…!” Doch. Ein sachtes metallisches Knirschen war zu hören, als sich die Ecke der Parkbank in mein Auto drückte. Ätzend. Ich kachelte die Straße hoch zurück zu dem Gasthof und begutachtete die Auswirkung der Bank auf mein Auto. Die Ecke hatte mein Nummernschild eingedrückt und ziemlich verbogen. Ein Jahr später, als ich wieder in diesen Ort komme, wird mein Nummernschild abfallen – aber das ahne ich zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht.

Damals hatte ich dann bei diesem bereits stark verfallenen Gasthof nur die unteren Räume angeschaut und irrtümlicherweise gedacht, es sei nur ein Gehöft. Ich ging damals nicht um das Gebäude herum und fand daduch die Treppe zum Ballsaal nicht.

Ein Jahr danach war ich schlauer. Das war auch die letzte Möglichkeit, denn kurz darauf wurde dieser verlassene Gasthof abgerissen. Die erste Etage mit den Gästezimmern war halb herunter gestürzt. Das war von außen kaum zu sehen. Ich betrat daher den Bereich hinter dem Ballsaal, wo auch die kleine Küche war, nur im Schwebezustand. Im Schwebezustand befand sich wohl auch ein Jahr lang mein Nummernschild. Am Tag meiner Abreise aus dem Muldental hörte ich beim Ausparken ein Scheppern hinter mir. Mein Nummernschild. Ob das Kopfsteinpflaster dem letzten Halt einen Ruck versetzt hat, weiß ich nicht. Es gelang mir nervigerweise nicht, dass Schild wieder in die Halterung zu klemmen. Die Leute auf der Autobahn guckten teilweise merkwürdig. Ein Pärchen gab mir im Vorbeifahren fuchtelnde Handzeichen. Am liebsten hätte ich eine große Notiz in die Heckscheibe geklebt: “Ich weiß!”. Vielleicht sollte man neben dem Erste-Hilfe-Koffer auch immer einen DIN-A-4-Block dabei haben. Ich denke noch darüber nach…