Das verlassene VEB Sprengstoffwerk II
Ein Lost Place zwischen Pulver und Lunte
Auf meinem Weg durch Gebüsch und Trampelpfaden überlege ich, was mich wohl in dem verlassenen Sprengstoffwerk erwartet. Ich habe keinerlei Vorstellung, wie es in der alten ehemaligen Pulverfabrik aussieht. Ich weiß allerdings auch nicht, wie Sprengstoffe aussehen (außer Sylvesterknaller) und was für Maschinen für die Produktion zum Einsatz kommen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die typischen Dynamitstangen aus Western-Filmen, bei denen ich die Lunte immer unangenehm kurz finde. Aber ich lebe auch nicht im Wilden Westen und will auch nichts sprengen. In einem stark verwässerten Haus entdecke ich farbiges Pulver, in einem anderen Gebäude liegen angerostete Gasflaschen herum und die wenigen Maschinen, die ich finde, lassen Fragezeichen über meinem Kopf aufploppen. Auch das Warnschild bei “Säureentladung” verwundert mich. Ich dachte immer, bei Sprengungen fliegt irgendwas gewaltig auseinander, während Säure sich in Objekte hineinfrisst. Es ist ja nicht so, dass ich im Chemieunterricht nicht aufgepasst hätte – ganz im Gegenteil: ich mochte das Fach, auch wenn es beim Abi keine Rolle mehr spielte. Egal, irgendwann werde ich den Zweck vielleicht erfahren. Ich stromere weiter eine Etage höher und finde mehrere großen Holzkisten voll mit meinen Western-Stangen. Naja, fast. Sie sind deutlich schmaler, ungefüllt und ohne Zündschnur. Ich freue mich trotzdem – ein heißer Fund! Was wie Baumwollgarn aussieht, scheint dann die Lunte von der Rolle zu sein. Und die Holzkisten würden gut in einen Western passen. Weiter hinten lande ich in einer kleinen Werkstatt., dahinter ein kleiner Gemeinschaftsraum. Eine Flasche steht gekühlt bereit, aber ich lasse den schönen Tag erst am Abend ausklingen.
Der Lebenslauf dieses ehemaligen verlassenen Sprengstoffwerks ist ziemlich wechselvoll. Die Hintergründe der geschichtlichen Entwicklung von Sprengstoffwerken sind dabei durchaus interessant und nicht unerheblich. Dafür muss man zurück gehen vor das Jahr der deutschen Reichsgründung 1871. Die lokal stationierten Produktionsanlagen von Sprengstoff waren zum Großteil in privater Hand. Es gab nur wenige staatliche Betriebe, deren Produktion gerade einmal für die eigene Armee in Friedenszeiten reichte. Im Kriegsfall musste von den privaten Sprengstoffwerken Material aufgekauft werden. Nach der Reichsgründung gewannen die privaten Werke durch Firmenzusammenschlüsse massiv an Größe und Bedeutung. Staatliche Betriebe gab es nur noch vereinzelt – so wie dieses alte Sprengstoffwerk.
Als Königlich-Sächsische Pulverfabrik gegründet, durchlief dieses alte Werk diverse Umbenennungen, Eigentümer- und Produktionsmittel-Wechsel. Während anfangs Schießpulver zu militärischen Zwecken hergestellt wurde, kamen im Zuge der Industrialisierung auch Sprengstoffe für Industriebedarf, Bergbau und sogar Landwirtschaft zum Tragen. In der DDR wurde die zuletzt betitelte “Sprengstoff- und Zündschnurwerke AG” verstaatlicht zum volkseigenen Betrieb: VEG Sprengstoffwerke II. Neben der bisherigen Sprengmittelherstellung (u.a. auch Feuerwerkskörper) erweiterte man die Produktion durch Herstellung von Kunststoffprodukten. Die Wende brachte eine Privatisierung mit diversen Übernahmen und Umbenennungen, bis sich nun schlussendlich ein Konzern fand, der heute in einem Teil des alten Werkes ansässig ist.
Quellen:
https://www.geographie.hu-berlin.de/de/abteilungen/wirtschaftsgeographie/forschung/p_pulverfabrik_sk
https://www.robotrontechnik.de/index.htm?/html/sonderbeitraege/gnaschwitz.htm