Das verlassene Säuglings- und Kinderkrankenhaus

Das verlassene Säuglings- und Kinderkrankenhaus

Kunst ist niemals nur Banane: das verlassene Säuglings- und Kinderkrankenhaus als Kunstobjekt

“Wow, das hier fühlt sich an wie eine begehbare Kunstausstellung…!”, dachte ich, als ich den Altbau des verlassenen Kinderkrankenhauses Weißensee in Berlin betrat und durch all die kreativ und liebevoll bemalten Räume wanderte…

Ein Penner als Kunstführer

Erst fand ich sie gar nicht, weil ich im hinteren Teil des Nebengebäudes eingestiegen bin. Statt dessen wurde ich gefunden, von einem stark heruntergekommenem Typen. Ich sah ihn zufällig, als ich im ersten Stock aus dem Fenster blickte. Er kam auf den Eingang unter mir zu: langer, zerschlissener Mantel, verschmierte Hose, Stiefel, die vielleicht vom russischen Militär stammen könnten. Mir wurde etwas mulmig. Ich überlegte kurz, ob und wo ich mich verstecken könnte, denn man weiß ja nie. Aber da war nicht viel mit verstecken, alle Räume waren leer. Das Knirschen im Eingangsbereich unter mir bezeugte sein Nähern, dann die Schritte auf der Treppe. Ich konnte auch nicht großartig weg, denn es gab nur den einen Zugang von der Treppe in die oberen Stockwerke. Somit stand ich in meinen Raum wie in einer Sackgasse. Ich hörte ihn in meine Richtung kommen, hoffend, dass er an meinem Raum vorbeigehen würde. Doch er ging nicht vorbei. Er kam rein. Im ersten Bruchteil der Sekunde, wo sich unsere Blicke trafen, musste ich abschätzen, ob er mir gefährlich werden könnte, vielleicht sogar böse Absichten hätte, oder nicht. Seine strähnigen Haare hingen kraftlos bis Kinnlänge herunter, an der Nase hing ein Tropfen, in der Hand hielt er eine Pulle Korn am Flaschenhals. Vielleicht sein wärmender Wegbegleiter für diesen Tag. Ich pokerte, blieb cool stehen, meine Kamera halb hochhaltend, um zu zeigen, dass zumindest ich harmlose Ziele hatte. Er sah mich mit seinen leicht wässrigen Augen an, dann, wie zeitverzögert, legte sich ein Lächeln auf seine Mundwinkel. “Do you want to see the banana room?” , fragte er mit Akzent, den ich in den russischen Raum einordnen würde. “Oh yes, I haven’t found it, yet.”, antwortete ich und war überzeugt, dass er nur ein armer Schlucker war, der sich aber definitiv auskannte. Und wie er das tat. Er zeigte mir als erstes den “iceroom”, den ich wahrscheinlich ohne ihn gar nicht entdeckt, geschweige denn als solchen eingeordnet hätte. “Banana room is in the other house”, klärte er mich auf, und ob ich ein bisschen Geld für ihn hätte. Viel war es zwar nicht, aber auch wenn mir klar war, dass meine Münzen in Schnaps umgewandelt werden würden, gab ich sie ihm gern für seine tolle Info. Und nein, er war nicht gefährlich, er war sogar sehr nett und irgendwie symphatisch. Ich mochte ihn. Und hatte durch ihn einen tollen Tag! So kann es manchmal gehen…

Die begehbare Streetart-Kunstausstellung

Durch den Seiteneingang kam ich ins Herzstück dieses Lost Place, dem eigentlichen Kunstobjekt stand sogleich im rosa Flur, der mit lauter pinken Herzen gefüllt ist. Natürlich hatte ich mit allem gerechnet, nur nicht mit soviel Kraft! Ich wusste bis dato nur von einem bemalten Raum, – den Bananenraum – und auch den hatte ich mir anders vorgestellt. Doch hier gab es so viel mehr Räume zu entdecken.

Die Kunsträume im Obergeschoss aber waren unglaublich!!

Ich ging mit leisen Schritten, bedächtig, voller Respekt vor der hinterlassenen Arbeit. Erstaunt stellte ich fest, dass der Streetart-Künstler sich die Mühe gemacht hatte, alle Räume zu säubern, sie ringsum zu grundieren und komplett vom Boden über Wände plus Decke mit kleinen, niedlichen Elementen zu bemalen und dabei quasi Themenräume zu schaffen. Jeder Raum ist individuell gestaltet. So gibt es z.B den “Muffinraum”, den “Wolkenraum”, den “Blumenraum”, den “Mohrrübenraum” oder den “Käseraum”. Seine Ideen beeindruckten mich sehr. Mit gekonnten Pinselstrichen hat er mich in diesen verlassenen Räumen ein Stück weit wieder Kind sein lassen, einfach nur durch das Sein im jeweiligen Raum. Diese liebevollen Zeichnungen wirkten in ihrer Buntheit so strahlend fröhlich und unbeschwert, wie man es sich für ein buntes Kinderzimmern eben wünscht, und diese kleinen Figuren, die man erst auf den zweiten Blick bemerkt, haben mir sofort ein Lächeln entlockt. Auch ich strahlte, vor Freude, all die hübschen Räume noch so relativ unversehrt entdeckt zu haben und durch das berührende Gefühl, was sie in mir auslösten.

In Gedanken an die früher hier liegenden Kinder schaute ich mich um, stellte mir Kinderstimmengewusel vor. Jetzt herrscht nur noch das Reden von weiteren begeisterten Besuchern oder Jugendlichen. Als sie alle weg sind, bin ich froh, die Kunst der Street Art ganz allein genießen zu können. Endlich Stille. Friedliche Ruhe. Einen Moment länger stehen bleiben…einfach bleiben…schauen. Schön!

In dem eigentlich denkmalgeschützten alten Gebäude ist tatsächlich Kunst durch menschliche Hand hinzugekommen: und zwar durch einen Street-Art-Künstler, der viele Räume in ein ganz eigenes Bild gewandelt hat. Hier malte der Künstler nicht einfach einen Lost Place voll, hier wurden nicht einfach die Wände bunt übergestrichen. In einigen Räumen hat man das Gefühl, Street Art ist mehr als Graffiti, mehr als Straßenmalerei. Begehbare Kunst quasi….

Der Verfall in dem alten Kinderkrankenhaus mit besagten Kunsträumen war stark vorangeschritten. Besonders im zweiten Stockwerk, das ich mir deshalb auch mehr oder weniger ersparte. Ich hatte gelesen, dass da mal ein Typ eingekracht ist und sich das Bein brach.

Nachtrag: Die Räume sind inzwischen stark zerstört und von der Kunst nicht viel übrig geblieben.


weblinks:

https://www.bz-berlin.de/berlin/pankow/hansastrasse-illegale-fototour-endet-im-krankenhaus

https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article227075523/Lost-Places-in-Berlin-Neuer-Zaun-sichert-altes-Kinderkrankenhaus-Weissensee.html

https://www.berliner-woche.de/weissensee/c-bauen/einst-war-das-kinderkrankenhaus-der-stolz-der-weissenseer-stadtvaeter_a142114

https://de.wikipedia.org/wiki/Hansastra%C3%9Fe_(Berlin)#Kinderkrankenhaus