Das verlassene Chemiewerk “Kessel”

Das verlassene Chemiewerk “Kessel”

Mir stockt der Atem, als ich in diese große Industriehalle eines Chemiewerks komme. Nicht etwa, weil mich die Halle so beeindruckt, sondern weil mir ein extrem beißender Geruch entgegen schlägt. “Boah, is ja nicht auszuhalten!”, schießt es mir in den Kopf. Das Tor steht seit langem sperrangelweit auf, doch durchgelüftet ist auch nach all der Zeit nicht. Meine Lunge brennt nach wenigen Sekunden. Unwillkürlich kneife ich die Augen ein wenig zusammen, wie um sie vor den aggressiven Partikeln in der Luft zu schützen. Ich versuche, den Geruch einzuordnen. Er kommt mir bekannt vor. Während meiner Ausbildung habe ich ziemlich intensiv erfahren, wie penetrant ätzend Ammoniak stinkt. Schon nach wenigen Minuten hat man das Gefühl, dass einem der Kopf platzt. Das werde ich nie vergessen. So ähnlich fühlt es sich hier drin auch an. Ob es nun Ammoniak ist oder ob sich andere Chemikalien in die Wände und Maschinen gefressen haben, kann ich nicht herausfinden. Ich schnalle mir meine FFP2-Maske um und atme flach. Die Maske kann den Gestank nicht sonderlich abhalten, aber ich fühle mich wenigstens etwas geschützt.

Die Behälter, Kessel und all die anderen Bauelemente sagen mir zwar nichts, aber sie faszinieren mich. Im Chemieunterricht in der Schule hatten wir kleinere Utensilien auf dem typisch braun gefliesten Labortisch. Hinweise auf die Funktionen dieser Geräte finde ich nicht, auch nicht auf die verwendeten Chemikalien bzw chemischen Endprodukte. Nur auf drei grauen Kesseln entdecke ich die Aufschrift “Natronlauge”.

Nach späterer Recherche finde ich heraus, dass Natronlauge zu den hergestellten Hauptprodukten dieses Chemiefirmen-Areals gehört. Weitere hergestellte Hauptprodukte sind: Chlor, Wasserstoff, Salzsäure, Phosphorsäure, Eisen-III-Chlorid, Ketamin, u.v.a. Zu meinem Erstaunen steckt Natronlauge heutzutage in vielen Produkten. Komplett überrascht bin ich aber, als ich lese, dass die Hauptprodukte Chlor und Natronlauge der damaligen IG Chemie 1938 für die Rüstungsindustrie bei der Produktion von Sprengstoffen, Nebelstoffen, Chlorkalk, Salzsäure u.v.m eine wichtige Vorstufe bildeten. Wieder etwas dazugelernt. Vielleicht krame ich irgendwann nochmal in meinen alten Chemiebüchern…